@ -75,3 +75,57 @@ Der folgende Col du Télégraph ist mit 1566m schön zu befahren, aber leidet do
Der Col du Galibier (2645m) hingegen besticht durch seine abenteuerliche Anfahrt, die durch mehrere Täler hinweg mit schnellen Wechseln zwischen ihnen und sehr steilen Passagen einen flinken Hüftschwung auf der Maschine und schöne Aussichten ermöglicht. Kurz halten wir, um Fotos zu schießen. Der Vorteil dieses Passes ist, dass ein Tunnel durch die Passhöhe gebohrt wurde, sodass der letzte Teil des Aufstiegs wirklich steil und nur den Kletterwilligen vorbehalten ist. Auf der Spitze angekommen, sehen wir auch das Resultat falschen Kletterns: Ein Minivan kommt wild qualmend und mit heulendem Motor mit letzter Kraft hochgerollt, die Beifahrerin dabei hektisch winkend. Wir lassen ihn vor, damit er sich noch auf den Parkplatz retten kann. Der Urlaub ist vorbei, mit einer dermaßen abgebrannten Kupplung fährt man kam einen Meter mehr in den Alpen.
Den Col du Lautaret (2058m) nehmen wir mit inzwischen fast professioneller Gelassenheit und schwingen so mit bester Stimmung und voller Impressionen und wunderbarer Bilder ins Tal - welches hier auf rund 1500 Metern über dem Meeresniveau liegt.
## 14.08.
Heute stehen die letzten 2000er an. Wir kampieren sehr nah vor dem Col d'Izoard (2360m) und freuen uns schon drauf. Vorher noch zusammenpacken, der Platz ist sehr staubig, dafür ist alles knochentrocken, sehr fein.
Der Weg zum Pass führt durch ein schönes Tal, flakiert von den uns so bekannten, steinigen Bergen. Doch irgendwie fängt die Landschaft langsam an, unterschwellig sich zu verändern. Wir kommen ganz langsam, Schritt für Schritt, dem Mittelmeer näher.
Die Auffahrt ist angenehm, für Fahrradfahrer wurde hier eine extra Spur angelegt, wobei wir inzwischen auch gut wissen, wie man die am besten überholt, ihne Probleme zu kriegen. Die Abfahrt hingegen war das eigentliche Highlight. Sie führt durch ein unbesiedeltes, völlig von Steinen übersähtes Tal, in langen, geschmeidigen Kurven, um einen Flusslauf entlang. Dann wird jedoch die gut ausgebaute und breite Straße immer enger, bis sie nur noch drei bis vier Meter breit ist und an einer Steilwand entlangführt, teilweise durch Tunnel hindurch. Was folgt ist Abenteuer pur. Es geht in schmalen Schlangenlinien, entlang der Windung der Bergflanke zur Linken und einer schienbeinhohen Steinmauer zur Rechten, dahinter geht's senkrecht in die Tiefe hinab, wo irgendwo gurgelnd der Fluss sich durch Geröll kämpft, die Schlucht hindurch. Ab und zu kommt Verkehr von vorne, doch das ist regelbar, es gibt Ausweichbuchten. So schlängeln wir uns durch eine Landschaft, wie sie in einem Cowboyfilm nicht besser dargestellt hätte werden können.
Der Col de Vars (2109m) ist angenehm einfach zu befahren und fordert uns wenig ab. Wir begrüßen die seichte Fahrt und lassen die Zügel an unseren Maschinen locker laufen. So entspannt kann Passfahren sein.
Der Col de la Cayolle (2326m) hingegen ist das völlige Gegenprogramm. Schon die Anfahrt kündigt sich ominös an: Ein Schild verkündet, dass die nächsten 30km sehr kurvenreich werden und ein weiteres Schild verkündet, dass die maximale Fahrzeugbreite auf 2,40m beschränkt ist. Was folgt, ist das anstrengenste, abwechslungsreichste und dramatischste Stück Straße, das wir bisher befahren haben.
Die Straße ist sehr uneben, dafür aber schmal und, wie überall hier, unausreichend gegen Absturz gesichert. Sie führt durch enge Schluchten, übersäht mit grobem Geröll und Bäumen, und schmale Brücken, durch enge Kurven und nah an der Bergwand entlang. So zirkeln wir gut 15km entland hoch zur Passhöhe, glücklicherweise ohne nennenswerten Gegenverkehr, und noch weniger Verkehr in unsere Richtung - an Überholen, vor allem im Dreierpack, ist hier nicht zu denken.
Hinab verhält es sich genauso, nur kommen hier noch vereinzelt Tunnel hinzu und dramatische Aussichten hinab ins Tal und quer hindurch. Der mediterrane Einschlag ist vor allem auf dieser Seite nicht mehr zu leugnen. Und dann passiert, was passieren musste: Wir biegen um eine, wie üblich, sehr enge und schmale Kurve links um den Berghang herum ab und plötzlich steht ein Wohnmobil vor einem. Auf einer Straße, auf die keine Autos nebeneinanderpassen und die in Richtung Abgrund mit ein paar Steinmäuerchen gesichert ist. Ich kriege mein Motorrad sicher aus der Schräglage zum stehen, meine Kameraden ebenso, wir sind ja geübt. Und so schmiegen wir die Maschinen an die winzigen Wände, Füße in die Lücken zwischen ihnen gestellt und lassen das auf diesen unheimlich schmalen Straßen völlig deplazierte Wohnmobil im Schritttempo passieren. Das lieft nochmal gut.
Nach längerer Suche finden wir auch einen Campingplatz. Dabei passieren wir noch den Col de Valberg (1673m) und den Col de la Couillole (1678m), ohne diese groß zu bemerken. Die Suche schlaucht, die Köpfe sind leer. Schöne Gegend, tolle Kurven, irre Steigungen und Aussichten, doch wir wollen nur ankommen.
## 15.08.
Wir verbringen eine ruhige Nacht an unserem Last Minute Zeltplatz. Der kommende Morgen ist nicht zu warm und nucht zu kalt - direkt in der Sonne hält man es allerdings nicht wirklich aus. Aber wir haben ja eh Dinge geplant, also wird nach einem kurzen Frühstück gepackt, aufgesattelt und losgefahren.
Der Col Saint-Martin (1500m) wartet auf uns. Er befindet sich in einer schmalen Öffnung zwischen zwei Berghängen. Dahinter eröffnet sich ein mediterran aussehendes Tal, welches wir in engen Kurven hinabsteigend befahren. Die Straße führt direkt neben einem Flussbett entlang, ungefähr auf einer Höhe. Wenn der Fluss mal nennenswerte Mengen Wasser tragen sollte, muss die Straße überflutet sein. Außerdem ist das Bett voll mit menschengroßen Findlingen. So sollen sicherlich die Fluten gebremst werden. Alles hier unten ist sehr sandfarben, beige, als wäre ein Terracottafilter aktiviert worden. Knorrige Bäume spenden etwas Schatten, während wir auf der anderen Seite des Tals wieder einen Berghang erklimmen.
Die Straße führt uns direkt zwischen den hutzeligsten Häusern entlang, durch steile und engste Spitzkehren. Glücklicherweise haben wir bei so etwas nun wirklich den Dreh raus. Weiter geht's durch eine Altstadt, gelegen auf einem klippenumgebenen Berg mitten im Tal. Wir umrunden sie auf der äußersten Straße, geschmiedete Zäune grenzen den Asphalt vom Abgrund ab. Und dann sehe ich das Schild: Col de Turini (1607m)!
Es geht weiter, steile Kurven, fraglicher Straßenbelag, knorrige Bäume. Doch dann lichtet sich die Umgebung etwas und wir fahren über eine Straße, die der steilen Wand des Berges abgetrotzt wurde. An vielen Stellen ragt das Gestein über den Asphalt, teilweise in Form von kurzen Tunneln. Manchmal wurden kleine Brücken gebaut, um Lücken in den Verwerfungen der Wand zu überspannen. Und dann sehe ich die kleinen Steinmauern, die die Straße zum Abgrund abgrenzen, und dann erkenne ich die Kurven wieder. Wir sind wirklich am Fuß des Col de Turini angekommen, der Pass, der durch die Rallye Monte Carlo berühmt ist - und ich befahre ihn genau jetzt. Mir stockt der Atem, kurz verschwimmt die Sicht, ich muss schlucken. Auf dieses Stück legendäre Straße habe ich seit Jahren hingefiebert. Ich fahre nicht zu schnell, einerseits ist die Straße sehr schmal und der Abgrund stets präsent, andererseits will ich diesen Moment so lang wie möglich genießen. Dann kommen die Spitzkehren, die man in Berichterstattungen und bei Bildersuchen immer wieder sieht - dicht gepackt, immer nur wenige, und an die Bergflanken gemauert. Wir durchstreifen sie gekonnt, kein Fahrzeug befindet weit und breit um diesen Moment zu behindern - welch ein Glück wir haben.
Weiter bergauf fliegen wir, genüsslich diese historischen Kurven durchpendelt. Und dann kommt die Passhöhe und wieder schaudert es mich. Ich erkenne alles wieder und wie benommen steige ich ab, nehme den Moment mit aufgerissenen Augen wahr. Ich wanke hin und her, erkenne Details wieder, mache weitwinklige Aufnahmen, ein Beweisselfie vom Passschild. Ich schaffe es nicht so glücklich zu gucken wie ich mich in dem Moment fühle.
Nach etwas Aufenthalt und einem Schnack mit Motorradfahrerkollegen geht es auf der anderen Seite bergab. Auch diese Seite ist eine legendäre Rennstrecke der Rallye Monte Carlo, vielleicht noch bekannter, das weiß ich nicht. Der Rollsplit vor dem wir gewarnt wurden, stört uns nicht zu stark. Wir fahren einfach etwas vorsichtiger und die betroffene Strecke ist sowieso eher kurz. Noch mehrmals muss ich heftig schlucken, als mir die Situation gewahr wird, in der ich mich gerade befinde und dann sind wir schon wieder runter von der Passstraße.
Den Col de Castillon (706m) nehme ich nach all der Aufregung und Ehrfurcht gar nicht wahr und so rollen wir immer weiter durchs Tal bergab in Richtung Menton. Es geht durch die niedlichsten Dörfer, vorbei an im Zerfall eingefrorenen Häuser und Vorgärten und es wird ganz langsam immer wärmer. Als wir am Mittelmeer ankommen, wind es umwerfende 35°C und wir überlegen, ob es verboten ist, in Motorradschutzkleidung ins Meer zu springen. Unser Strandurlaub währt nur kurz, wir müssen wieder ins Rollen geraten, sonst kommen wir trotz eifrigen Nachfüllens an Dehydrierung um.
Die Campingplatzsuche erweist sich als äußerst schwierig, da in Italien gerade mit Mariä Himmelfahrt ein hoher Feiertag begangen wird und angeblich ganz Süditalien in den Norden gefahren ist. Tradition oder so. Um 15:00 Uhr fahren wir den ersten Platz an, 15:30 Uhr den zweiten. Dann entscheiden wir, etwas Strecke zu machen und etwas nach Norden zu kommen. Daraus resultierte eine längliche Fahrt mit einigen Wendungen, welche darin mündete, dass wir um 21:00 Uhr 40km südlich von Mailand sehr erschöpft und dankbar an einem Platz mit einem Stück Wiese für uns ankommen.
## Der Rest
Der Rest der Tour wurde nicht im Tourtagebuch aufgenommen. Daher kann hier nur noch ein Gedächtnisprotokoll niedergeschrieben werden.
Am Morgen des 16.08. stellte sich heraus, dass ein Kamerad über Nacht gesundheitliche Probleme in Form von Erkältungssymptonen entwickelt hat. Ursprünglich war der Plan, auf dem Heimweg durch die Schweiz den östlichen Teil der Grand Route of Switzerland mitzunehmen. Diesen Plan konnten wir nicht mehr guten Gewissens durchführen. Also wurde sich geeinigt, schnellstmöglich die Schweiz zu durchqueren, auf deutscher Seite zu übernachten und dann mittels eines großen Schrittes nach Hause zu kommen. Der Kamerad musste nach Hause, da konnte man keine Umwege mehr in Kauf nehmen.
Wir dachten, auf Kantonstraßen die Schweiz durchqueren zu können, die Schweizer Autobahnmaut fürchtend. Nach heftigem Stau und dehydrierender Sonneneinstrahlung in der Nähe des Lago di Lugano, die Straße bis Lugano war hingegen wunderschön, recherchierten wir doch, wie das mit der Maut nun genau sei. Nachdem wir gelernt haben, dass diese nicht allzu teuer ist, wir keine Aufkleber auf unsere Maschinen anbringen müssen und inzwischen alles über das Kennzeichen läuft, klicken wir uns die Gebühren zusammen und es geht auf die Autobahn.
Schweizer Autobahnen in den Alpen - wie kann das nur so schön sein. Sie laufen meistens parallel zu den Kantonstraßen, nur erhöht und mit besser fließendem Verkehr. Währenddessen kann man die schönsten Aussichten genießen. Die Eidgenossen sind manchmal einfach zu beneiden.
Bei einer Rast entdeckten wir eine Frischwasserquelle mit eiskaltem und glasklarem Wasser, die anscheinend direkt von den umliegenden Bergen gespeist wird. Der erkrankte Kamerad, der inzwischen heftige Kopfschmerzen entwickelt hatte, steckte seinen Kopf unter Wasser und genoss die betäubende Kälte.
Ich füllte mir eine Flasche dieses Urwassers ab und werde sie später im Kühlschrank möglichst stark herunterkühlen und beim Genuss in Erinnerungen schwelgen.
Auf deutscher Seite fanden wir in der Nähe von Konstanz mit Müh und Not einen überfüllten Campingplatz der noch ein wenig Platz für uns hat. Beim Zeltaufbau brach mir noch eine Stange und perforierte die Außenhaut. Gut, dass dies die letzte Nacht sein sollte. Ein Gewitter holte uns noch fast ein, Niederschlag blieb allerdings aus.
Der 17.08. und damit die finale Etappe standen an. Der noch gesunde Kamerad verabschiedete sich, um einen fern von der Heimat wohnenden Freund zu besuchen. Ich fuhr mit dem noch immer kränkelnden Kameraden zurück nach Hause.
Wir fanden ein für unsere körperlichen Verfassungen und unsere Maschinen passenden Marschtempo heraus und setzten an, Fortschritt zu machen. Ungefähr auf Höhe Göttingen gab es die letzte Rast. Der Kamerad war sichtlich fertig und erkältet, gut dass wir schon so nah an der Heimat waren. Kurz darauf stellten sich auf Höhe des Harzes Nebel und ungemütliche Temperaturen ein. Nach rund einer Woche in mediterranem Klima biss die Kälte besonders hart. Da ich mich aber auf kalte Temperaturen eingestellt hatte, wir sollten ja immerhin mehrere tausend Meter hohe Bergpässe fahren, welche sich als überaus warm herausstellten, hatte ich die passende Ausrüstung bereits griffbereit. So kamen wir an meiner Abfahrt an, ich winkte dem Kameraden zum Abschied und er fuhr weiter bis zu seinem Ziel.
Noch am selben Abend stellte sich heraus, dass unser Kamerad sich irgendwo auf der Strecke Corona eingefangen hat und die letzten zwei Tage der Tour fingen die Symptome an. Wenige Tage später war auch der andere Kamerad positiv, ich blieb verschont. Die Verläufe waren glimpflich.
## Gedanken
Während der Recherchen zu dieser Tour habe ich immer wieder gelesen, dass die Route des Grandes Alpes eine legendäre Strecke, die Tour deines Lebens sei. Solche Aussagen sind natürlich mit Vorsicht zu genießen. Ich weiß jetzt allerdings, was damit gemeint ist, wenn Menschen auf diese Art schwärmen.
Ich kann sagen, dass ich jetzt, mehr als ein halbes Jahr nach Abschluss dieses Urlaubs, noch immer satt von diesen Erlebnissen bin. Derzeit juckt es mich nicht, eine neue Tour zu planen. Ich habe derzeit keine Bedürfnisse, ein ähnliches Unterfangen ein Jahr nach Absolvierung der Route des Grandes Alpes zu unternehmen. Lieber schwelge ich in den Erinnerungen, schaue mir Fotos an, erzähle anderen davon, wie grandios die Straßen in den französischen Seealpen sind.