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{:title "Die W kam vor der V"}
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# Die W kam vor der V
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## Ein Liebesbrief an zwei Motorräder
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2015 machte ich den Motorradführerschein, einige Monate nachdem ich einen erfahrenen Motorradfahrer ein mal zu viel damit genervt habe, welches Motorrad doch sehr schön und tatsächlich auch bezahlbar sei und dieser mir darauf erwiderte: "Weißt du, was du brauchst? Den Führerschein." Es folgten ein paar magere Monate und an meinem Geburtstag fand die erste Fahrstunde statt. Mein Lehrer hatte es kurz vorher noch geschafft, sich die Hand so übel zu quetschen, dass er sich nicht in der Lage sah, das Motorrad zum Übungsplatz zu fahren. Dadurch kam ich dann in den Genuss, die mir fremde Maschine durch den Straßenverkehr zum Platz zu leiten. In der ersten Kurve leicht in der Spur schlingernd durfte ich mir dann über das Interkom anhören, dass wir nicht in Oschersleben seien und es wurde nochmals betont, dass ich ihm unauffällig folgen solle.
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Mitte August war alles erledigt und ich stolzer Besitzer der Führerscheinklasse A wie offen. Nun durfte ich vom Vorkriegsoldtimer bis zu hochgezüchteten 1PS-Leistung-trifft-auf-1kg-Lebendgewicht-Maschinen fahren - ein Umstand, der mich vor allem bei Besitzern des Autoführerscheins immer wieder verwundert. Kurze Zeit später war ich dann auch schon im Besitz einer Maschine, die für mich Traummotorrad-Charakter besitzt.
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<blink>
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### Wie W: Kawasaki W 650, Baujahr 1999
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Trommelbremse hinten, Einscheibenbremse vorne, Königswelle für den Ventilantrieb, Paralleltwin mit 360 Grad Hubzapfenversatz, Kickstarter, viel Metall und ein schöner, sonorer Klang. Die Fachpresse nennt diese Maschine das britischste Motorrad, das nicht aus England kommt.
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Wie so häufig setzte ich mir ein Budget und, nachdem ich sah, welche Motorräder es für wenig mehr gibt, diese Grenze Stück für Stück ausgeweitet. Ich wollte eine eher klassische Maschine haben, gerne unverkleidet, gerne Chrom, aber eher keine Chopper. Und der Klang, der musste natürlich stimmen, der war ganz wichtig. Hoch drehende Maschinen schloss ich nach einer Probefahrt schnell aus, da diese ihre Leistung und Drehmoment erst "weiter oben" entwickeln. Mir schien das nicht in meinen Fahrstil zu passen, der scheinbar eher nachhaltigen Druck aus dem Drehzahlkeller befürwortet. Außerdem entwickelt sich die Klangkulisse in eine ganz andere Richtung als ich bevorzuge. Es muss ja kein "Lanz Bulldoch" sein, bei dem man jede einzelne Umdrehung an der Hand mitzählen kann, um dann erst nach Stunden die Grenzen seiner Zählmethode erraten zu können. Aber so ein sympathisches Pötteln bis Blubbern, das muss es sein.
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Kawasaki als Marke war mir vom Namen her bekannt, und das Modell Ninja ein Begriff und für mich uninteressant. Dann entdeckte ich, dass diese Firma dieses bildhübsche Motorrad, die W 650, herstellte. Ein ganz gutes Angebot fand sich irgendwo in der Heide. Rund 40.000 km schon auf der Uhr, Baujahr 1999. Motorräder sind gerne mal einfach schon etwas älter. Dafür erfahren sie üblicherweise auch etwas mehr Zuneigung und Fürsorge als Autos, das ist kein Problem. Recherchen ergaben auch, dass der Motor viel aushält und für deutlich mehr als die Motorrad-üblichen 50.000 km gut ist und Kawasaki ja sowieso eine Marke ist, der man viel zutrauen kann. Verkäufer angeschrieben, Termin ausgemacht und auf der Rückfahrt von Hannover vorbeigeschaut. Sympathischer Mann, hat die Maschine von Verwandtem übernommen, braucht jetzt aber den Platz und das Geld kann auch nie schaden. Als ich eine Hörprobe erfragte, das Ohr fährt ja mit, wollte ich nicht glauben, was mit präsentiert wurde. Ich war sofort verliebt. Nach meiner Probefahrt sagte er mir, dass er schon glaubte, dass ich nicht zurückkäme, scheinbar war ich eine dreiviertel Stunde unterwegs. Na ja, der Firmenwagen stand ja noch vor der Tür.
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Zwei Wochen später stand die Maschine bei mir, mein erstes Motorrad. Stolz führte ich sie meinen Freunden vor und fuhr kurz danach in die Werkstatt um herauszufinden, ob welche Mankos sich in der langen Standzeit beim Vorbesitzer so angesammelt haben. Der Mechaniker warf einen Blick darauf und fuhr eine Runde um die Halle. Auf meine Frage hin, wie sie so führe und es sich anfühle, sagte er mir, dass sie wie eine Straßenbahn führe aber sonst alles in Ordnung sei. Scheinbar hätte ich ja auch mal auf den Reifendruck gucken können: Beide Reifen bewegten sich bei sparsamen 0,9 bar. Die alten Gummis mussten sowieso ersetzt werden, gemeinsam mit der Bremsflüssigkeit, dem hinteren Radlager, dem gesamten Kettensatz und ein paar weiteren Streicheleinheiten. Dabei lernte ich dann auch, dass Motorradreparaturen gefühlt noch mehr kosten, als Vergleichbare am Auto.
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Kurz darauf ging es auf große Fahrt: Eine rund 3000 Kilometer lange Motorradtour nach Schweden mit zwei Freunden, die uns ein mal um den Vättern führte. Bis heute weiß ich nicht genau, wie ich mit gut 1,90 m Körpergröße auf diesem relativ kleinen Motorrad diese Strecke in rund zehn Tagen hinter mich gebracht habe. Die blauen Flecken am menschlichen Sitzmobiliar kamen zwar ziemlich sicher vom ebenso ungeeigneten Dreibein, aber hätten genauso gut von der Sitzbank kommen können. Danach unternahm ich mit ihr noch zwei weitere Motorradurlaube. Da wurde die Anreise jedoch mit Anhänger bewerkstelligt und Sauwetter musste sie auch nicht mehr ertragen. Im Schwarzwald und am Bodensee gab es Kurvenparadiese für die betagte Dame, lediglich ein paar Fliegen und warmes Klima musste sie über sich ergehen lassen.
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Heute genießt die W, in Bezug auf Urlaub, ihren Ruhestand. Sie genießt ihre regelmäßigen Wartungen und wird bei schönem Wetter ausgeführt, genießt dabei die Sonne, einen guten Windzug um die luftgekühlten Zylinder und genuss- sowie druckvolles Gleiten über ruhige Landstraßen. Bei einer solchen Fahrweise benötigt man auch nicht wirklich ein ABS, wie soll das auch auf eine per Stoßstange angelenkte Trommelbremse einwirken? Die, nach modernen Maßstäben bewertet, eher maue Federung sorgt für genügend Fahrkomfort und Kontrolle. So genießt es sich herrlich einfach. Die Kawasaki-typische Schaltung mit knackigem Feedback sagt einem artig bescheid, dass der Gang auch drin ist und der Motor vibriert sanft im Viertakt. Dabei ist er auch nicht laut. Mir erscheint, dass er auf dem Fahrersitz deutlicher zu vernehmen ist, als wenn man daneben steht. Die fünf Gänge geben genug Reichweite, dass bei Tempo 100 ruhige 4000 Umdrehungen vorherrschen, während man auch ohne Sorgen im höchsten Gang durch den Ort tuckern kann. Im Dritten prattelt es sich herrlich von unten heraus hoch und wenn man doch mal alleine auf der Landstraße ist, kann man den Twin bis auf 7000 Umdrehungen hochjubeln, dann klingt er kernig.
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Irgendwann stellte sich dann aber doch heraus, dass ein speziell dem Reisen gewidmetes Motorrad her muss. Der W wollte ich ja lange Touren nicht mehr antun.
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### Die V: Honda Varadero 1000 XL SD 02, Baujahr 2009
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So kam die V als Zweitmotorrad in meine Garage. Die W kann ich als mein erstes Motorrad ja nicht verkaufen, sie soll schließlich bei mir und mit mir alt werden.
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2019 gekauft, war sie "schon" zehn Jahre alt. Die Hondawerkstatt meines Vertrauens betitelte sie tatsächlich als "altes Motorrad". Dabei wurde sie doch gerade erst eingeschult! Sei's drum. Honda hat einen sehr guten Ruf und es gibt den Vielfahrer Varahannes, der auf seiner Varadero astronomische Laufleistungen gefahren ist, alles mit dem ersten Motor. Das stiftet Vertrauen und so griff ich bei einem guten Angebot zu: ABS, Tourenpaket mit drei Koffern, Griffheizung, Hauptständer und Windschutzlöffel vor den Griffen. Der V-Motor entwickelt aus einem Liter Hubraum mithilfe von Einspritzung rund 90 Pferdestärken, mal eben das Doppelte der W. Das hat aber auch seine Kosten.
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Die V brachte mir den eisernen Grundsatz des Motorradfahrens final bei: Während der Fahrt geht's. Ihre mehr als 250 kg Lebendgewicht wollen im Stand und beim Rangieren beherrscht werden. Ich lernte, dass man so eine Maschine nicht auf Schotter, an einem leichten Hang, mit der Nase bergab parkt und dann ohne Probleme wieder wendet. Ich lernte fürderhin, dass man etwas mehr Kraft braucht, um eine solche Maschine auf den Hauptständer zu wuchten, trotz Ausnutzung von Hebelkräften und der richtigen Technik. Und ich lernte, dass Honda ein fantastisches Fahrwerk verbaut hat, das einem sänftengleiches Fahrverhalten liefert, ohne ins Schwammige abzurutschen. Kurz: die V fährt sich wunderbar und vermittelt ein an einen großen Bruder erinnerndes Vertrauen in das Fahrwerk und die Reifen. Aber beim Rangieren wird es nervenaufreibend.
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Der eiserne Grundsatz gilt im Übrigen für viele Aspekte, aber vor allem auch für das Thema Temperatur. Solange die Luft ausreichend niedriger als die eigene Körpertemperatur ist und auch an die eigene Haut gelangen kann, ist es egal, wie sehr man im Stand schwitzt. Während der Fahrt geht's.
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Im selben Jahr ging es dann auch auf große Tour, wieder nach Skandinavien, diesmal Norwegen. Die Trollstigen wurden anvisiert, aber nicht ganz erreicht. Bis Jötunheim, der Ort, von dem die Eisriesen stammen, schafften wir es und es war grandios. Die V zeigte sich von ihrer Schokoladenseite und sorgte mit ihrem bärigen Motor für stressfreies Fahren, mit ihrer vortrefflich entwickelten Verkleidung für angenehmen Windschutz und den Koffern für jede Menge Stauraum. Zurück ging es in Richtung Schweden und dort holte mich die geringe Erfahrung mit der Maschine ein. Auf einem Fleck Klee rutschte ich beim Beschleunigen mit dem Hinterrad weg, sorgte mit einem schlackernden Eiertanz des Hinterrades für allgemeine Belustigung und legte mich gepflegt hin. Das Ego war hinüber, der Bremshebel verbogen. Wir schafften es aber tatsächlich, und ohne große Umwege, einen Honda-Händler in Schweden zu finden, im spärlich besiedelten "mittleren" Schweden fast ein Wunder, und konnten Ersatz besorgen, der bis heute noch am rechten Ende des Lenkers lebt.
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Und da die V für das Reisen konzipiert und ich sie auch genau dafür angeschafft habe, führte die nächste Reise mich ins gelobte Motorradfahrerland: die Alpen. Als Kurs wählte ich die Grand Tour of Switzerland aus, eine Rundreise entlang der schönsten Gegenden der Schweiz, ein mal im Kreis herum. Von dieser Tour wählte ich jedoch nur den südlichen Teil aus, ich hatte ja nur eine gute Woche Zeit und Ballungszentren wollte ich eher umgehen. So ging es vom Bodensee aus in die Schweiz und im Uhrzeigersinn herum, immer in der Nähe der Grenze zu den Nachbarstaaten entlang bis zum Genfer See und dann weiter nach Norden nach Basel. Dort hatte ich schon die vorgegebene Route der Grand Tour verlassen, besuchte gute Freunde um dann wieder die Heimfahrt anzutreten und die Nacht durch nach Hause zu fahren. Und die V? Die hat alles klaglos mitgemacht. Ich erwischte auf dieser Tour die niederschlagsreichste Woche seit Beginn der Aufzeichnungen und die Reifen, das Fahrwerk, der Wetterschutz, die Griffheizung machten alle mit, ließen sich Passhöhen hinauftreiben, durchzirkelten Spitzkehren und trugen mich im gemütlichen Tempo durch malerische Landschaften. Nun hat es glücklicherweise nicht in einem durch geregnet und es gab auch warmes und sonniges Wetter. Dann war die Fahrerei besonders schön und mir stockte regelmäßig der Atem, wenn ich mit meiner V die nächste Postkartenansicht durchfuhr oder auf einem der bekannten Pässe stand und der Blick so weit reichte, dass ich verstand, wo die blauen Berge wirklich sind.
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Das Tourenpaket spielte alle Trümpfe aus. Das Topcase, so hässlich solche Koffer auch sind und so sehr sie auch die Fahrdynamik stören, war in Sachen Zugänglichkeit einfach unschlagbar. Man hat ein wasserdichtes Staufach, welches ohne Weiteres aufgeht und in dessen Deckel man seine Handschuhe und weiteres Geklöter unterbringen kann, während man im eigentlichen Stauraum nach anderen Dingen kramen kann. Die Seitenkoffer sind ähnlich praktisch, wobei man im Zugriff weniger wahlfrei ist. Da sie zur Seite aufklappen, kann es schnell passieren, dass man die Hälfte des Inhalts in der Hand hält. Dafür habe ich irgendwann einfach das Zelt in einen der Seitenkoffer gestopft, nachdem ich es nach Tagen des Regens trocknen konnte und weiterhin trocken aufbewahren wollte. Sie bauen etwas weiter als der Lenker, was man im Hinterkopf behalten muss, aber sonst funktionieren sie tadellos und stören auch nicht bei schneller Gangart.
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Was aber vor allem in der Schweiz, zusammen mit den dort ansässigen Bußgeldern für zu schnelles Fahren, auffiel, ist, dass 90 Pferdestärken selbst bei einem so schweren Motorrad wie der V einfach jede Menge sind. Beim Durchfahren von Orten, oder dem entspannten Durchpendeln von Landstraßen, muss der Gasgriff mit Bedacht bedient werden. Am Berg ist Drehmoment natürlich praktisch, der Sprint aus einer Spitzkehre hinauf ist ruckzuck gemacht und das druckvolle Beschleunigen macht einen unheimlichen Spaß, doch führt man ein solches Manöver aus, kann schnell eine dreistellige Geschwindigkeit erreicht werden. Dafür muss nicht einmal nennenswert hochgeschaltet werden, da die kurzhubige Auslegung des Motors hohe Drehzahlen ermöglicht.
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Also immer schön piano und Landschaft genießen. Warum sollte man auch möglichst schnell durch ein so schönes Land wie die Schweiz heizen? Dann ist man nur schneller wieder raus, das Land ist klein. Zeit nehmen, das restliche Leben ist schon stressig genug.
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## Gegensätze
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Warum zwei Motorräder? Man kann eh nur eins fahren. Warum zwei Bücher? Man kann eh nur eins lesen.
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Die W ist alles, was ich an Motorrädern mag. Man hört die Ventile arbeiten. Das Auspuffgeräusch ist herrlich klassisch und variiert von Cruiser-ähnlichem Geblubber bis zu kernigem Geknarre. Man glaubt jede Umdrehhung hören zu können. Der Scheinwerfer besteht aus dreißig Morgen verchromter Oberfläche und wenn ich bei Dunkelheit durch die Stadt fahre, refklektieren er und der verchromte Lenker die vorbeifliegenden Lichter, während die Instrumente mir dezent entgegenleuchten. Man guckt die Maschine an und sieht, wie sie funktioniert, sieht die Bestandteile aus denen sie besteht. Nur wenige Bauteile sind für rein optische Zwecke angebracht. Das Aussehen ist das Resultat der gewünschten Funktion. Und dabei ist eine Liebeserklärung an das Motorrad, das stilvolle und unaufgeregte Gleiten und Genießen, herausgekommen. Sie ist mein erstes Motorrad und mit ihr habe ich die Maschine meiner Träume gefunden.
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Die V ist ein Versprechen. Sie verspricht, dass sie mich dorthin tragen wird, wohin ich sie fahre. Ich werde mit ihr immer weiter lernen. Sie wird mit ihrer Leistung und ihrer Fahrdynamik noch lange Zeit mir voraus sein und mir Raum zum Wachsen bieten. Sie wird mir ferne Orte zeigen und mir ermöglichen, fremde Länder zu entdecken und dabei alles was ich brauche auf ihrem Rücken transportieren, ohne in Wehklagen zu verfallen. Solange ein Weg irgendwohin führt, werde ich ihn mit der V befahren können und sicher ankommen. Ihre Verkleidung, ihr Windschutz, ihre Ergonomie versprechen mir, dass keine Strecke zu weit sein wird.
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Darum zwei Motorräder. Darum ein Liebesbrief.
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